Anlässlich des 90. Geburtstags von Ernesto Kroch schrieb Erich Hackl im Freitag diese schöne Würdigung seiner Lebensgeschichte.
Erich Hackl Der Unersetzliche aus der Freitag mehr ...
Das Buch von Ernesto Kroch ist eine politische Zeitreise über zwei Kontinente hinweg und eine Reise in das Innenleben der klassischen Arbeiterbewegung. Ernesto Kroch ist ein gebildeter jüdischer Autodiktat. Er ist den Idealen seiner Jugend treu geblieben, er hält den Untergang dessen, was sich sozialistisch nannte, nicht für das Ende der Geschichte.
Max Brym Die Lebensgeschichte Ernesto Krochs aus hagalil mehr ...
Lateinamerika war in den 1930er Jahren Fluchtziel für Hunderttausende Juden und politisch Verfolgte. So auch für Ernesto Kroch, der 1938 mehr zufällig in Uruguay landete, das für ihn schon bald zur neuen Heimat werden sollte. Doch der gelernte Maschinenschlosser musste aufgrund seines politischen Engagements in der unter der Militärdiktatur verbotenen Metallarbeitergewerkschaft 1982 erneut fliehen und kehrte für einige Jahre nach Deutschland zurück. Diese entscheidenden Stationen seines Lebens wurden titelgebend für seine Autobiographie: Nach einer ersten Version 1990 ist „Heimat im Exil – Exil in der Heimat“ dieses Jahr in einer erweiterten Fassung erschienen. Ernesto Kroch ist 1917 in Breslau geboren. Seine ersten Kindheitserinnerungen drehen sich um Weihnachten und Chanukka, die bei ihm zu Hause beide gefeiert werden, gemeinsames Musizieren und – immer wieder – ausführliche Wanderungen und Ausflüge in die Natur. Mit zwölf Jahren schließt sich Kroch dem Jugendbund „Kameraden“ an, er verabschiedet sich von seiner „naiven Ichbezogenheit“, übernimmt Verantwortung und beteiligt sich am Widerstand gegen den aufkommenden Faschismus. Durch seine Maschinenschlosserlehre 1932 lernt er, der aus einem kleinbürgerlichen Elternhaus kommt, die Welt der Arbeit kennen. Das Proletariat hörte auf, „Begriff zu sein“, wie er fast schon staunend feststellt: „Hier sah ich Arbeiter aus Fleisch und Blut.“ Ende 1934 wird er, erst 17-jährig, von der Gestapo verhaftet, landet zuerst im Gefängnis und ist bis 1938 im KZ Lichtenberg der Willkür und den Misshandlungen der SS ausgeliefert. Nach seiner Freilassung gelangt er nach Jugoslawien, wo er auf einem Gutshof für die spätere Auswanderung nach Palästina in Landwirtschaft unterwiesen wird. Doch genau dort will Ernesto Kroch keinesfalls hin, da „dieses Land nicht nur von England beherrscht, sondern auch von Arabern bewohnt war, und ich hatte nicht die geringste Lust mit ihnen Konflikt zu kommen für einen ‚Judenstaat’, für den ich nichts übrig hatte.“ Mit gefälschtem Visum für Paraguay gelangt er über Marseille nach Lateinamerika. Seine Reise ist in Uruguay zu Ende, wo er zunächst zwar in großer Armut lebt, sehr schnell aber Arbeit findet und später auch eine Familie gründet. Der Anfang ist nicht einfach für ihn, doch bald schon fühlt sich Kroch zu Hause und beginnt, sich erneut politisch zu engagieren – in der Kommunistischen Partei und in der Metallarbeitergewerkschaft, seit den 60er Jahren auch in Stadtteilorganisationen, die für bessere Wohnverhältnisse kämpfen. Rastlos und unermüdlich übernimmt er nach Feierabend und am Wochenende Aufgabe um Aufgabe für Partei und Gewerkschaft. Seine Frau und seine zwei Kinder sehen ihn kaum noch. In seinen Lebenserinnerungen gesteht er sich ein, dass er das Scheitern seiner Ehe zu verantworten hat. Immerhin gelingt es ihm und seiner Frau Coca, sich als Freunde zu trennen. Einige Jahre später nähern sich die beiden wieder an. Sie heiraten ein zweites Mal und leben bis zu Cocas Tod 1978 zusammen. 1973 erlebt Ernesto Kroch erneut den Beginn einer Diktatur, doch seine Erfahrungen sind diesmal ganz andere: Die Gewerkschaften in Uruguay reagieren auf den Militärputsch mit einem zweiwöchigen Generalstreik. Der Widerstand wird, anders als in Deutschland vierzig Jahre zuvor, von der Mehrheit der Bevölkerung getragen. Wieder wird Kroch verhaftet, diesmal aber nur kurz. Bis 1982 bleibt er im Untergrund aktiv. Als eine Gewerkschaftskollegin verhaftet wird und er befürchten muss, dass sie unter der Folter seinen Namen nennt, flüchtet er nach Brasilien. Dort entscheidet er sich für die Rückkehr nach Deutschland, sein Exil in der Heimat. In Frankfurt am Main lebt er mit seiner zweiten Frau Feva, engagiert sich gegen die Militärdiktatur in Uruguay und beginnt zu schreiben. Doch diesmal währt sein Exil nur gut zwei Jahre. Noch vor den Wahlen, die das offizielle Ende der Diktatur bedeuten, kehrt er 1984 zum ersten Mal wieder nach Montevideo zurück und hilft beim Wahlkampf des linken Oppositionsbündnisses Frente Amplio. Bis heute mischt er im Stadtteilkomitee seines Wohnviertels und im von deutschstämmigen Emigranten gegründeten Kulturzentrum Casa Bertolt Brecht mit. Auch mit 87 Jahren sieht er keinen Grund, sich zur Ruhe zu setzen. Ernesto Krochs Erinnerungen sind nicht nur wegen seines bewegten und interessanten Lebens lesenswert. Er hat viel erlebt und daher auch einiges zu erzählen. Sympathisch an diesem Buch und seinem Autor ist, dass er völlig uneitel und bescheiden ist. Und nebenbei erfährt man einiges über das Deutschland der 20er und frühen 30er Jahre, und natürlich über Uruguay, seine Heimat im Exil.
Michael Krämer Uneitel und immer engagiert aus INKOTA-Brief


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