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Mike Davis (1946–2022) ist gestorben – ein Nachruf
Heute erreichte uns die traurige Nachricht, dass unser Freund und Autor Mike Davis gestern, am 25. Oktober 2022, gestorben ist.
Sein Tod ist ein unermesslicher Verlust. Wir verlieren mit ihm einen herausragenden Schriftsteller und unabhängigen Geist, der sich u.a. mit seinen Studien zur Stadtentwicklung, zur politischen Ökonomie des Hungers und zur gesellschaftlichen Produktion von Pandemien ausgezeichnet hat. Viele seiner Bücher avancierten zu internationalen Standardwerken und er war einer der Ersten, der aus linker Perspektive die zentrale Bedeutung der ökologischen Frage erkannte. Mike Davis‘ Loyalität galt den Ideen, denen er zeitlebens treu blieb. In seinem Denken blieb er marxistisch geprägt, ohne sich jemals einer Parteirichtung oder Orthodoxie zu unterwerfen. Dazu war er viel zu unangepasst und rebellisch. Diese Haltung prägte seinen gesamten Lebensweg und ließ ihn auch immer wieder aus dem klassischen akademischen Betrieb ausbrechen.
Mike Davis wurde am 10. März 1946 in Fontana, einem Vorort von Los Angeles geboren. Im Alter von 16 Jahren unterbrach er den Besuch der High School, um als Arbeiter in einer Fleischfabrik zum Unterhalt seiner Familie beizutragen. Anfang der 1960er-Jahre studierte er kurze Zeit in Oregon, wurde Mitglied der Students for a Democratic Society (SDS), trat der Kommunistischen Partei bei und leitete deren Buchladen in Los Angeles, bis er 1969 vom regionalen Parteivorsitz gefeuert wurde, weil er den russischen Kulturattaché des Ladens verwiesen hatte.
In den folgenden vier Jahren arbeitete er als LKW-Fahrer an der Westküste, bis er sich entschied, seine akademische Ausbildung an der University of California Los Angeles (UCLA) fortzusetzen. Neben Geschichte und Wirtschaft an der UCLA studierte er irische Geschichte in London, Edinburgh und Belfast und setzte sich für die nordirische Unabhängigkeitsbewegung ein. Von 1980 bis 1986 arbeitete Davis im Londoner Büro der Zeitschrift „New Left Review“ und begründete die Haymarket Series des Verso Verlags, die sich auf Studien über nordamerikanische Politik und Kultur spezialisierten. 1986 veröffentlichte er sein erstes Buch „Prisoners of the American Dream“ (dt.: Phönix im Sturzflug, Rotbuch, 1986) zur politischen Ökonomie der Vereinigten Staaten in den 1980er-Jahren.
Mike Davis’ Hauptinteresse als Autor und marxistischer Historiker galt lange Zeit der Stadtentwicklung und insbesondere der kalifornischen Metropole Los Angeles. International bekannt wurde er 1990 mit seinem Bestseller „City of Quartz“, einer faszinierenden Sozialgeschichte und einem Zukunftsszenario der City of Angels.
1987 war er nach Los Angeles zurückgekehrt, wo er zunächst erneut als Trucker, später u.a. als freier Autor und Dozent am Southern Institute of Architecture arbeitete, sich für ein Friedensabkommen zwischen den verfeindeten Jugendgangs einsetzte und bis Ende der 1990er-Jahre weitere Bücher (u.a. „Ecology of Fear“, dt.: „Ökologie der Angst“, Antje Kunstmann Verlag, 1999) veröffentlichte. Nach der Auszeichnung mit einem MacArthur Fellowship verkaufte er sein Haus in Pasadena und zog sich mehrere Jahre nach Papa’aloa (Hawaii) zurück, um dort seine Arbeiten für das Buch „Geburt der Dritten Welt“ abzuschließen. Später hatte Mike Davis eine Professur am Department of History an der University of California in Irvine inne.
Sein 2005 publiziertes Buch „The Monster at Our Door“ über die Vogelgrippe erwies sich angesichts von Covid 19 als eine Untersuchung von bestürzender Hellsichtigkeit über die gesellschaftliche Produktion von Pandemien.
Ein Jahr später erschien mit „Planet der Slums“ ein Werk, das seine urbanistischen Studien auf den globalen Süden ausdehnte und in der weltweiten Verstädterung eine „kopernikanische Wende“ in der menschlichen Siedlungsgeschichte konstatierte.
Im Dezember 2008 wurde Mike Davis als „einer der interessantesten und vielseitigsten Urbanisten unserer Zeit“ mit dem in jenem Jahr erstmals verliehenen Kulturpreis der Universitätsgesellschaft in München ausgezeichnet. Die Rede des Preisträgers, in der er sich selbst als einen „in die Jahre gekommenen Sozialisten, der nach wie vor mit derselben Inbrunst an die Selbstemanzipation der Arbeiter glaubt wie Gouverneurin Sarah Palin an die Karibujagd“, bezeichnet, ist unter dem Titel „Wer wird die Arche bauen“ bei Telepolis nachzulesen.
Mike Davis lebte zuletzt zusammen mit seiner Frau, der mexikanischen Künstlerin Allessandra Moctezuma, in San Diego. Mitte des Jahres wurde bekannt, dass er sich entschieden hatte, eine Krebserkrankung nicht länger behandeln zu lassen. In einem seiner letzten Interviews sagte er: “As you can see, I’m surrounded by love in this family. And in some ways, it’s been absolutely the best period of my life.”
Im britischen “Guardian” formulierte Mike Davis sein Vermächtnis an die Nachkommenden: “I’ve always been influenced by the poems Brecht wrote in the late 30s, during the second world war, after everything had been incinerated, all the dreams and values of an entire generation destroyed, and Brecht said, well, it’s a new dark ages … how do people resist in the dark ages? What keeps us going, ultimately, is our love for each other, and our refusal to bow our heads, to accept the verdict, however all-powerful it seems. It’s what ordinary people have to do. You have to love each other. You have to defend each other. You have to fight.”
Mike Davis starb am 25. Oktober 2022.
Wir schätzen uns glücklich, das Privileg gehabt zu haben, Mike Davis als Autoren für unseren Verlag gewonnen und einige seiner wegweisenden Bücher auf Deutsch herausgebracht zu haben. Rest in Power, Mike! We will miss you.
Theo Bruns & Rainer Wendling