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Aus dem Italienischen von Christel Fröhlich und Andreas Löhrer, 152 Seiten, Hardcover, auch als E-Book erhältlich, Neuausgabe mit einem Vorwort von Theo Bruns
ISBN | 978-3-86241-480-2 |
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Erschienen | 09/2020 |
An einem Morgen im Frühling des Jahres 1972 wird bei Segrate in der Nähe von Mailand unter einem Strommast die Leiche eines Mannes gefunden, der bei einer fehlgeschlagenen Sabotageaktion ums Leben kam. Schnell stellt sich heraus: Bei dem Toten handelt es sich um Giangiacomo Feltrinelli, die berühmteste und schillerndste Verlegerpersönlichkeit Europas, Spross einer reichen Familie, militanter Linker und Parteigänger Che Guevaras.
Fast 20 Jahre später treffen sich ein junger Regisseur, eine Journalistin, ein Buchhändler und ein Universitätsprofessor, die damals Weggefährten des Verlegers waren, um einen Film über sein Leben zu drehen und der Bedeutung nachzugehen, die sein Tod für ihre eigene Biografie und die Entwicklung der neuen Linken in den 1970-Jahren beinhaltete.
Das Filmprojekt wird nicht zum Abschluss kommen, doch klar wird, dass der Tod des Verlegers, der sich selbst zwischen Partisanentradition und lateinamerikanischer Guerilla verortete, einen entscheidenden Wendepunkt der italienischen Linken markierte und den Übergang zu den Kämpfen einer jungen Generation bedeutete, die sich auf die Suche nach radikal neuen, kollektiven Lebens-, Arbeits- und Aktionsformen machte und damit in einen unerbittlichen Gegensatz zum herrschenden Gesellschaftssystem trat.
Der Roman montiert in virtuoser Weise zeitgenössische Presseberichte, den Obduktionsbericht der Leiche, die heftigen Diskussionen, die der Tod Feltrinellis in der Linken auslöste, und verknüpft sie mit Zitaten einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte aus Malcom Lowrys »Unter dem Vulkan«. So gelingt es dem literarisch kunstvollsten Roman Balestrinis, die dramatischen 1970er-Jahre Italiens in emblematischer Weise zum Ausdruck zu bringen und der verfemten und verzerrten Figur des Verlegers ihre Würde zurückzugeben.
»Der Verleger« wurde in der Bearbeitung von Michael Farin (2017) als Hörspiel vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt.
Der Tod des wichtigsten italienischen Verlegers der Linken schärft die Konturen der neuen sozialen Bewegung durch die tiefgreifenden Diskussionen, die er auslöst. Die Suche nach einer neuen persönlichen und kollektiven Subjektivitat, nach Lebens- und Widerstandsformen wird durch den Tod Feltrinellis beschleunigt. Die gesellschaftliche Konfrontation jener Zeit, die Veränderungen der Arbeit und der Lebensformen, die massenhafte Dezentralisation der Revolte machen den Zusammenschluss aller Parteien, des Militärs, der Justiz und Medien notwendig, um diese soziale Kraft zu zerstören. Weil die PCI die Kontrolle über diese Bewegung schon nicht mehr hatte, hat sie sich an deren Zersprengung beteiligt. Das Ende der alten Perspektiven wird damit überdeutlich. Das Klima jener Zeit, eins der Suche, des Aufbruchs, der Negation, des radikalen, nicht rückgängig zu machenden Bruchs mit der Gesellschaft stellt Balestrini in Form dieser Geschichte des Todes des Verlegers dar, aus der sich Geschichten herausdrehen, persönliche oder auch typische Geschichten, wie sie damals verbreitet waren im lebendigen Teil der Gesellschaft. Es bleibt viel Luft zwischen den Geschichten und Personen, ständig wechselt der Autor Ebene, Perspektive, Sprache, montiert die „dreckige Arbeit der Medien“ mit der heftigen Liebesgeschichte aus Malcolm Lowrys „Unter dem Vulkan“, lässt den Blick auf die Konstruktionspläne des Buches frei. Diese Freiheit macht das Großartige aus, die klare Luft zum Atmen, wie auf einer Hochebene, auf der einen nichts bedrängt, wo aber die Einfachheit der Form die Klarheit der Gedanken fördert. Mit der Reduzierung der Geschichte jener Jahre auf dieses eine Bild – den Tod des Verlegers – gelingt es Balestrini, die eigene Geschichte des Lesers hervorzulocken, die sich zwischen den Aspekten des Geschriebenen entwickeln und an ihnen reiben kann. Das scheint mir die größte Freiheit zu sein, die ein Autor seinen Leser*innen geben kann.
Hanna Mittelstädt, Die Geliebten in anderen Häusern, Listen, Nr. 30, 12/1992
Balestrini, der 1979 als einer der Theoretiker der autonomen Bewegung wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer subversiven Vereinigung gemeinsam mit Toni Negri und vielen anderen Ziel staatlicher Rache für die Demütigungen der politischen Revolte der 60er und 70er Jahre geworden war, nach Frankreich fliehen musste und erst nach Jahren rehabilitiert wurde, weil sich die Vorwürfe als offensichtliche Unwahrheiten herausstellten, unternimmt den Versuch, den Tod Feltrinellis vor dem Hintergrund der politischen Atmosphäre dieser Jahre zu beleuchten. So entsteht in der für Balestrini typischen interpunktionslosen und knappen Sprache ein facettenreiches Bild der Persönlichkeit von Feltrinelli, das weder voyeuristische Bedürfnisse noch das Verlangen nach revolutionären Heiligenbildchen befriedigt.
Kölner StadtRevue, 07/1992
Kein Punkt, kein Komma. Die Geschichte Giangiacomo Feltrinellis, des millionenschweren linksradikalen Verlegers, der beim Versuch, einen Strommast zu sprengen, sich selbst tötete, wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Keine davon ist die richtige, keine auch nur authentischer als die andere. Alle sind sie eingewoben in die dichte Textur der Prosa von Nanni Balestrini, der intime Beobachtungen, klassenkämpferische Aufrufe und Zeitungstexte so dicht aneinanderschweißt, dass der Leser glaubt, jene bleierne Zeit noch einmal zu erleben. Der Verzicht auf Satzzeichen, der zuerst so künstlich, so manieriert wirkt, stört nach einer Weile nicht mehr, und dann entdeckt man, wie sehr er hilft, den Text zu verdichten, den Leser einzuspinnen in die Geschichte, die erzählte, und in die Erinnerung an die wirkliche. Der Terror, den Literatur ausüben kann.
Arno Widmann, taz, 11.6.1992
Balestrini analysiert eine Epoche und dokumentiert die politische und persönliche Spaltung der Linken nicht nur, um einen Mythos zu entzaubern, sondern auch, um nach Zukunftsperspektiven zu suchen. Ihm ist auf seine ungewöhnliche Art ein kleines literarisches Meisterwerk gelungen.
Nikos Theodorakopulos, Risse in der Linken, taz hamburg, 16.12.1992 mehr …
Indem eine solche Detailgenauigkeit auf die Möglichkeit verweist, Form und Inhalt nicht nur plausibel, sondern zwingend aufeinander zu beziehen, gibt sie ein Beispiel dafür, was Literatur im besten Fall zu leisten vermag – nicht obwohl, sondern weil sie sich politisch versteht, nicht trotz, sondern wegen ihrer zeitgeschichtlichen Bezüge. Darin liegt die besondere Qualität Balestrinis.
Michael Wildenhain, Buchzeit, Südwestfunk, 15.2.1993
Balestrinis Buch ist auch Nichtkennern der italienischen Szene ohne Einschränkung zu empfehlen. Dem Verlag Libertäre Assoziation, der das im Original 1989 erschienene Buch in deutscher Sprache herausgebracht hat, wäre ein „Bestseller“ durchaus zu wünschen.
ak, September 1992
Manche Bücher vergisst man nicht. Irgendwann will man sie wieder zur Hand nehmen, weil man sich erinnert, an eine Beschreibung oder eine Gedankenfolge, die man gekennzeichnet hat während des Lesens, deutlich markiert mit einem doppelt gefalteten Eselsohr. Aber im Regal findet sich nichts. Verliehen und nicht zurückbekommen. Umso größer die Freude: „Der Verleger“ von Nanni Balestrini ist wieder neu erschienen. Sorgfältig gestaltet von Andreas Homann und sogar mit einem roten Bändchen versehen. Wie eine Frischzellenkur für das Gedächtnis funktioniert das souveräne Vorwort von Theo Bruns.
Hanne Schweitzer, Büro gegen Altersdiskriminierung, 16.10.2020 mehr …
Die Neuauflage des Balestrini-Romans – der keineswegs im biografischen Sumpf versinkt, sondern die politische Entwicklung wie in einem brechtianischen Szenario oder in einem Roman noir von Jean-Patrick Manchette vielschichtig durchleuchtet – erinnert an eine außergewöhnliche Verlegerpersönlichkeit, die nicht auf halbem Weg stehen blieb, sondern das ganze Leben einsetzte. Bis zum Schluss vereinten Balestrinis Texte Experiment und Kritik, Poesie und Politik, Kunst und Dissens.
Jörg Auberg. Moleskin Blues mehr …
In Balestrinis Schreiben spiegelt sich das Lebensgefühl der Zeit: Freiheit und Revolution. Satzzeichen, außer sporadisch eingefügten Fragezeichen, gibt es nicht. Der Roman gibt einen wichtigen Einblick in den Kampf der Linken und die Veränderung ihrer Bewegung nach dem Tod Feltrinellis.
Lea Heilmann, Chaos und Kampf, KREUZER, Leipzig, 12/2020 mehr …
In den Diskussionen der letztlich scheiternden Filmcrew wird deutlich, dass der reale Feltrinelli sehr ernsthafte Gründe hatte, in den Untergrund zu gehen und sich – in der Tradition des antifaschistischen Widerstands der Resistenza – auf die militärische Konfrontation mit der subversiven Rechten vorzubereiten. Balestrini macht in seinem Roman die Anspannung fühlbar, die damals nicht nur die radikale Linke erfasste.
Jens Renner, Weg in den Untergrund, ak 666 mehr …
In »Der Verleger« spürt Balestrini, der 2019 starb, den Verwerfungen nach, die Italien bis heute prägen.
Maike Albath, Sämtliche Versehrungen, SZ, 7.1.2021 mehr …
Balestrinis Buch kann als spannender Politkrimi gelesen werden, ist ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument zum Kampf der Linken in Italien und ebenso eine ganz persönliche biografische Nacherzählung der letzten Stunden. »Der Verleger« ist jedoch noch mehr. (…) Balestrini präsentiert seine Geschichte sehr einfallsreich, schiebt Zitate und Erinnerungsfragmente aus dieser Zeit ein und erzählt sehr temporeich: Es gibt Passagen, in denen die einzelnen Gedanken und Absätze als unendliche Melodie weitergeführt werden, verbunden durch die Kunst des Enjambements und als Variationen der Gedanken und Positionen durchgespielt.
Hubert Holzmann, Aufarbeitung erwünscht, TITEL kulturmagazin, 1.2.2021 mehr …
Wieder gelesen nach fast drei Jahrzehnten, verblüfft »Der Verleger« durch seine noch immer aktuellen Fragen an linke Politik.
Jens Renner, Feltrinelli und die Folgen, WOZ, 11.2.2021 mehr …
Ein Klassiker, neu ediert: Balestrinis “Der Verleger” war ein Nachhall der wilden 60er Jahre und wirkt heute wie ein Vorschein aktueller Konflikte. Eine Entdeckung.
Peter v. Becker, Der Verleger Feltrinelli und sein rätselhafter Tod, Tagesspiegel, 8.3.2021 mehr …
Balestrinis kompromisslose Schreibweise reflektiert den Zeitgeist nicht nur in seiner Radikalität, sondern auch in seiner Komplexität.
Luc Caregari, WOXX, 31.3.2021 mehr …
Gerade junge Leser*innen, die sich nicht mehr vorstellen können, wieso sich ein weltweit bekannter Verleger dem bewaffneten Widerstand anschloss, werden gleich vom Balestrini-Sound gefangen genommen, dem man sich bis zur letzten Seite schwer entziehen kann. Das von Christel Fröhlich und Andreas Löhrer exzellent übersetzte Buch gibt einen Einblick in ein Stück linke Geschichte.
Peter Nowak, Graswurzelrevolution, 28.2.2022 mehr …