»Lebe wild und gefährlich« – Artur Dieckhoff (13.5.1948–21.11.2020)

»Lebe wild und gefährlich« war sein Motto, mit dem er ein wenig berühmt wurde. Nun ist Artur Dieckhoff am 21. November 2020 gestorben. Der letzte Satz, mit dem er sich verabschiedete, lautete: »Die Produktion ist noch nicht zu Ende.«

Artur wurde am 13. Mai 1948 geboren und wuchs in Gelsenkirchen im Ruhrgebiet auf. Zeit seines Lebens war er ein Fan von Schalke 04, dessen »Königsblau« er in einem Film mit Christian Bau mit dem Ultramarin Yves Kleins in Beziehung setzte – eine dieser überraschenden Ideen, die für ihn typisch waren. Im »Pott« absolvierte er auch eine Lehre als Schriftsetzer, machte in diesem Fach seinen Meister, studierte später Kunst an den Hochschulen in Wuppertal und Hamburg. Artur schrieb, gestaltete und produzierte zahlreiche Bücher und war bisweilen als Filmemacher und Drehbuchautor tätig. Der Druckgrafik galt seine Leidenschaft, er vermittelte sie in Workshops und als Berufsschullehrer an Erwachsene und Jugendliche, auch an Gefangene im Knast. Das Museum der Arbeit in Hamburg war dabei immer wieder Produktionsstätte und Hort der handwerklichen Techniken der Schwarzen Kunst. Kurz vor Beginn des ersten Lockdowns stellte er dort im März 2020 mit Gerhard Eikenbusch noch das gemeinsame Werk »Wir machen Druck!« auf einer Buchpremiere vor.

Es sind diese pointierten Sätze, die den »Jünger Gutenbergs« als Nachfolger eines anderen rebellischen Künstlers außerhalb jeder Konvention ausweisen, den er instinktiv als Geistesverwandten erkannte. Artur, der Anfang der 1980er-Jahre begann, Werbetafeln und andere Flächen des öffentlichen Raums mit in der Druckwerkstatt Ottensen gefertigten Plakaten und eingängigen Parolen zu verzieren, stieß auf die Spur von Peter Ernst Eiffe, des ersten Graffitikünstlers Deutschlands, der im magischen Mai 1968 ganz Hamburg mit seinen Sprüchen überzog, schließlich mit einem Fiat Topolino in die Wandelhalle des Hamburger Hauptbahnhofs einfuhr, dort die »Freie Republik Eiffe« ausrief – und prompt in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Gemeinsam mit Christian Bau von dem Dokumentarfilmer*innen-Kollektiv die thede machte sich Artur auf die Suche nach Spuren dieses eigenartigen Menschen. Aus ihrer Recherche entstand im Jahr 1995 der Film »Eiffe for President. Alle Ampeln auf Gelb«.

Es war auch »Eiffe«, über den ich Artur im Jahr 2018 kennenlernte. Christian Bau plante – tatkräftig unterstützt von den Kolleginnen der thede – ergänzend zu einer neuen, digital bearbeiteten Version des Filmes ein Begleitbuch herauszubringen. Über unseren Band über den Hamburger Sprayer OZ waren sie auf den Verlag aufmerksam geworden, wir kamen in Kontakt, stellten schnell fest, dass wir Ideen und Passionen teilten – und entschieden, das Projekt gemeinsam umzusetzen. So entstand eine der schönsten Formen der Zusammenarbeit, die ich in den letzten Jahren der Verlagsarbeit erleben durfte – und das Buch »Eiffe for President«, das wir zusammen mit dem Film in zahlreichen Hamburger Programmkinos vorstellten und das schließlich im letzten Oktober mit dem Preis HamburgLesen für das beste Hamburg-Buch des Jahres ausgezeichnet wurde.

Es ist ein kleiner Trost, dass Artur diese Auszeichnung noch erleben durfte, auch wenn er gesundheitlich schon so beeinträchtigt war, dass er an der Preisverleihung nicht mehr persönlich teilnehmen konnte. Kurz vorher habe ich ihn das letzte Mal in seiner Wohnung besucht. Ich denke gerne an die Treffen und gemeinsamen Aktivitäten mit Artur zurück, an unser letztes gemeinsames großes Zusammensein in den Räumen der thede in der Fux Genossenschaft. Alle hatten gekocht und etwas zu trinken mitgebracht; Artur legte zum Abschluss allen die Karten und verhieß uns eine jeweils unterschiedlich geprägte großartige Zukunft. Die selbst gestalteten (?) Karten habe ich heute noch.

Artur erinnerte mich in seiner hünenhaften Statur immer ein wenig an den Chief Bromden aus »Einer flog über das Kuckucksnest«. Wenn er schwieg, hatte dies etwas geheimnisvoll Abwägendes und Prüfendes, dann wieder quoll er über vor Geschichten. Ich war förmlich elektrisiert, als ich erfuhr, dass die Parole »Lebe wild und gefährlich, Artur«, die mir auf zahllosen Postkarten und Plakaten begegnet war und mich und so viele Menschen in meinem Umfeld inspiriert und begleitet hatte, von ihm stammte. »Ich hätte nie gedacht, dass Artur ein lebende Person ist, ich habe sie immer für eine Kunstfigur gehalten«, sagte ich ihm. Seine Antwort war: »Ich bin ja auch eine Kunstfigur.«

Artur Dieckhoff hinterlässt ein umfangreiches Oeuvre: Druckgrafiken und Holzschnitte, die u.a. im ARTclub der Büchergilde Gutenberg erschienen; Bücher wie »Typopoesie«, »StadtElephanten«, »Der DruckFehlerTeufel«, »Johannes und das Blaubeerschwein«, verlegt im Verlag Schwarze Kunst, den er gemeinsam mit seinem Freund Klaus Raasch betrieb.

Zudem drehte er in wechselnder Zusammensetzung mit den Freunden und Freundinnen aus der thede mehrere Filme, von denen mich besonders »Zwiebelfische – Jimmy Ernst, Glückstadt-New York« (Regie: Christian Bau & Artur Dieckhoff, Kamera: Barbara Metzlaff, Schnitt: Maria Hemmleb) beeindruckt hat. Es ist dies ein ebenfalls von einem preisgekrönten Buch begleiteter Filmessay, der sich dem Lebensweg des späteren New Yorker Künstlers Jimmy Ernst und der Geschichte der auf Fremdsprachensatz spezialisierten Druckerei Augustin in Glückstadt vor dem bedrohlichen Hintergrund der ersten Jahre des Nationalsozialismus an der Macht widmet.

Sein letztes – wieder gemeinsam mit Gerhard Eikenbusch gestaltetes – Werk »HERZ-EIGEN HER-ZEIGEN« erscheint posthum im Januar 2021.

Artur fehlt. In seinen Werken, den Geschichten, die sich um ihn ranken, den Erinnerungen seiner Lieben, seinen »Herzspuren« lebt er weiter.

Theo Bruns

»Artur und Bau suchen Eiffe«: Interview von Jorinde Reznikoff mit Artur Dieckhoff & Christian Bau

Nachrufe und Erinnerungen von:
die thede
Klaus Raasch
Jürgen Bönig & Matthias Taube
Wolfgang Grätz