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280 Seiten, Paperback, vergriffen, Kollektiv Rage (Hg.)
Nicht vorrätig
ISBN | 978-3-935936-81-1 |
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Erschienen | 09/2009 |
Der polizeilich verschuldete Tod zweier Jugendlicher in der Pariser Vorstadt Clichy-sous-Bois löste im Herbst 2005 eine wochenlange Revolte aus, die sich rasch über die Armutsviertel des gesamten Landes ausbreitete. Schon bald war von Intifada und Stadtguerilla die Rede, vom Kollaps der multikulturellen Gesellschaft, von der Festigung kolonialer Verhältnisse innerhalb Europas. So schnell, wie der Chor der Kommentatoren anhob, verstummte er auch wieder. Spätere Revolten wurden kaum noch zur Kenntnis genommen, genauso wenig wie die sicherheitspolitische Aufrüstung des französischen Staates.
Was aber geschieht in den französischen Armutsvierteln wirklich? Welche Gewaltverhältnisse bestimmen den Alltag auf der Straße, in der Familie, in den Schulen, am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsamt? Welche Rolle spielt die lange Vorgeschichte des Aufstands, von den Unruhen der 1970er und 1980er Jahre über die Reformpolitik unter Mitterrand bis hin zur Durchsetzung des Antiterrorismus als neuem sicherheitspolitischen Paradigma? Und vor allem: Wie beschreiben die Bewohner und Bewohnerinnen der Viertel selbst ihre Lage und wie begründen sie ihre Verweigerung institutionalisierter Politikformen?
Der von dem Kollektiv RAGE herausgegebene Sammelband nähert sich aus einer (klassisch-)autonomen Sicht der Lage und lässt aber auch die Beteiligten selber zu Wort kommen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein klareres Bild der Situation, das von den AutorInnen auch in einen geschichtlich-sozialen Kontext gestellt wird und mit einigen vorherrschenden Klischees abrechnet. (…) Damit zeigt sich eine weitere Stärke des Bandes – er präsentiert einzelne, im deutschen Diskurs bislang weitgehendst ignorierte Facetten der politischen und sozialen Situation. Als eine politische Bestandsaufnahme der Verhältnisse der Pariser Vorstädte aus linker Sicht ist dieses Buch sehr empfehlenswert.
Maurice Schumann aus Contraste
Die Beiträge, darunter Interviews mit Sozialwissenschaftlern und unmittelbar Beteiligten, haben dort ihre Stärke, wo es um Lebensrealitäten in den Banlieues geht, etwa um prekäre Lohnarbeit, die Initiierung neuer staatlicher Sicherheitsregimes, das Verhältnis von staatlich gefördertem Feminismus zu Sexismus und Islamkritik oder die mediale Konstruktion der Vorstadtbewohner als »gefährliche Klassen« und Anderes der Gesellschaft. Hier gelingt es, ein komplexeres Bild zu zeichnen als in vielen anderen Veröffentlichungen, die sich oft durch Unverständnis und Exotisierung auszeichnen. Jedoch bricht immer wieder eine operaistische Terminologie durch, die eine effektvolle Darstellung sozialer Kämpfe mit deren Erklärung verwechselt. So verschwindet jene Ambivalenz der Unruhen, die aufzuzeigen erklärtes Ziel des Bandes ist. … Trotz der genannten Mängel und gelegentlich voreiliger Schlüsse bringt das Buch die Diskussion um das erneute Auftauchen der sozialen Frage in den französischen Vorstädten voran und erweitert sie um bisher abwesende Stimmen.
Boris Michel aus DAS ARGUMENT
Über die Novemberrevolte von 2005 in den »Banlieues«, den hauptsächlich von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnten Trabantenstädten, ist inzwischen viel geschrieben und spekuliert worden. Von seiten der bürgerlichen Medien wurden die rebellierenden Jugendgangs abwechselnd zu islamistischen Fanatikern, zu notorischen Kriminellen und Vergewaltigern oder zu Opfern gewaltstiftender Rap-Musiker gestempelt. Die sozialen Ursachen der Auseinandersetzungen wurden hingegen kaum thematisiert. … Es ist ein Verdienst der als »Kollektiv Rage« auftretenden Sozialwissenschaftler, Journalisten, Rechtsanwälte und linken Aktivisten, in dem Band »Banlieues. Die Zeit der Forderungen ist vorbei« die Hintergründe der damaligen gewaltsamen Proteste samt der Motivation ihrer Akteure zu beleuchten. Das Buch vereint sehr unterschiedliche und auch widersprüchliche Texte. Sehr lesenswert ist es vor allem durch die eingestreuten Interviews von Emmanuelle Piriot, Rosa Luna und Kamil Majchrzak mit Bewohnern der Banlieues, Beteiligten der Novemberrevolte und vor Ort tätigen Soziologen. Analytisch flankiert wird dieser mehr dokumentarische Teil durch eine Schilderung der Entstehung der Banlieues von Emmanuelle Piriot und die von der Soziologin Ingrid Artus vorgenommene Untersuchung der Ursachen der Revolten. … In dem Maße, wie hochqualifizierte und gut bezahlte Jobs gebürtigen Franzosen vorbehalten blieben (im Vorwort des Buches heißt es: »gnadenloses System der Apartheid«), kam zu der sozialen Ausdifferenzierung die ethnische. Zu sozialem Sprengstoff wurden die so entstandenen Migrantenvorstädte aber erst mit der in den 1970er Jahren einsetzenden Wirtschaftskrise und der daraus resultierenden Massenarbeitslosigkeit. Die Mehrzahl der Jugendlichen befindet sich in einem Teufelskreis von sozialer Ausweglosigkeit und rassistischer Diskriminierung, von Armut und staatlicher Repression. Als einzige Überlebensmöglichkeit bleiben prekäre Arbeitsverhältnisse und/oder Verstrickung in die halbkriminelle Schattenwirtschaft. Diese Situation einer ganzen Generation ist die eigentliche Ursache für die Unruhen in den Banlieues. Wie in dem Band weiter dokumentiert ist, stammen die meisten Mitglieder der Jugendgangs zwar aus moslemischen Familien, sind aber vor allem durch die Ghettokultur geprägt; die islamischen Gemeinden in den Ban¬lieues riefen sofort nach Ausbruch der Revolte zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung auf – ohne nachweisbaren Erfolg. In Musiktexten der Jugendkultur sind Elemente von Gewaltverherrlichung zwar vorhanden, sie werden von den Medien aber überbewertet. Thematisiert werden primär das Gefühl der permanenten Diskriminierung, des Ausgegrenztseins sowie die Wut über Schikanen durch Angehörige der Polizei und privater Sicherheitsfirmen. …
Ramona Sinclair aus junge welt
Eine der besten Textsammlungen zu dieser Thematik ist, in der textlichen Vielfältigkeit unglaublich perspektivenreich und gleichzeitig analytisch, ohne durch zu stark akademisierte Sprache zu erschlagen.
Revolte zwischen Wut und Stagnation aus kritisch-lesen.de mehr …
Dieses Buch ist wichtig. Der Sammelband versucht, die Rauchzeichen zu deuten, die vor vier Jahren im Herbst 2005 über den französischen Vorstädten zusammenzogen. Damit bereichert er eine Debatte, die sich den schwierigen Klassenverhältnissen zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellt. Der Sammelband interpretiert die Unruhen als Wiederauftauchen der sozialen Frage.
Gerhard Hanloser Deutung der Rauchzeichen aus ND mehr …
Verdienstvoll ist das vorliegende Buch, weil es »ethnische« Interpretationen der Revolten von 2005 durchweg zurückweist und sich stattdessen für die komplizierte Artikulation von Geschlechterverhältnissen, Rassifizierung und Klassenzugehörigkeit interessiert. … Allerdings findet sich in mehreren Beiträgen eine pseudoradikale Glorifizierung der »Sprachlosigkeit der Revolte«, die zur »strikte[n] Weigerung, sich am politischen Spiel zu beteiligen«, und zur »Weigerung, einen Forderungskatalog vorzulegen«, verklärt wird.
Kolja Lindner aus Peripherie 118/119
Der Band kann jedem empfohlen werden, der sich mit den Pariser Banlieues und den Unruhen von 2005 auseinander setzen möchte.
Fabian Gödeke aus socialnet mehr …
Angesichts der vielen publizistischen Schnell- und Fehlschüsse, die nach den letzten Banlieue-Unruhen verfasst wurden, ist das Buch eine lobenswerte Ausnahme, das auch noch in einigen Jahren mit Gewinn zu lesen sein wird.
Peter Nowak Untersuchungen zu den Aufständen aus trend online mehr …