Frédéric H. Fajardie schildert in seinem jetzt auf deutsch erschienenen Roman noir "Rote Frauen werden immer schöner" den Mai 1968 aus der Sicht von Freddy, eines proletarischen Linksradikalen, der im Gegensatz zu seinen Genossen aus gutbürgerlichem Haus alles riskiert - er erschießt einen faschistischen Polizeikommissar, muss Frankreich verlassen und verbringt 20 Jahre in Afrika, bis er 1988 ins Paris der Mitterand-Jahre zurückkehrt. Die meisten seiner GenossInnen haben sich mit den Verhältnissen arrangiert. Und das einzige, was ihm aus seinen alten Überzeugungen geblieben ist, ist seine Liebe aus dem Mai 1968 zu einer Genossin - auf die Suche nach ihr macht er sich. Fajardie springt in dem Roman zwischen 1968 und 1988 und wirft einen verächtlichen Blick auf die Mitterand-Jahre. Wer im Pariser Mai 1968 für eine revolutionäre Gesellschaftsveränderung gekämpft hatte, sah die 1980er als einzige Enttäuschung. Eine linke Regierung war an die Macht gekommen, aber geändert hatte sich nichts. Fajardie im Rückblick: "Vielleicht, wenn wir im Mai entschlossener und entschiedener gekämpft hätten, um die Welt zu verändern, dann wäre alles anders geworden." Er war 1968 in der militanten maoistischen Gauche Prolétarienne organisiert. Sein Vater kämpfte in der französischen Resistance und auch nach 1945 gehörten die alte britische Sten-MP und Handgranaten zum Haushalt. Die Sten wurde im Mai 1968 unter dem Mantel bereitgehalten: "Wenn die Polizei auf die Demonstrationen geschossen hätten, hätten wir zurück geschossen", sagte Fajardie bei einer Lesung. "Wir hätten vermutlich eine Niederlage eingesteckt, aber wer weiß, vielleicht wäre es doch besser gewesen - historisch gesehen." Und: "Alles mir wichtige habe ich in jener Zeit grundsätzlicher Entscheidungen gelernt." Neben der Sten-MP, die dem Polizeikommissar den Tod bringt, finden sich weitere autobiografische Elemente. Die Zeit des Romanhelden in Afrika, die im Buch leider kaum ausgeführt wird, beruht auf den Berichten portugiesischer Kolonialsoldaten, die aus Angola desertiert waren und bei den Fajardies bis zur Nelkenrevolution 1974 Unterschlupf gefunden hatten. Sicher auch nicht zufällig, wenn der Romanheld sagt: "Ich war seit 1967 für Rotchina und die große proletarische Kulturrevolution auf die Straße gegangen, weil die Darstellung des Marxismus in dem ,Kleinen Roten Buch´ mir verständlich erschien, mehr noch: mein spontanes Verständnis - und das ist die ganze Raffinesse dieses Werks - ließ mich glauben, ich sei intelligent. Und gebildet. Es ist die große Stärke von Bauernfängern, wie man begriffen haben wird, dass sie ihre Beute nie mehr aus den Fängen lassen: Sobald ich zwei Gläser gebechert habe, werde ich wieder zu dem, was ich im Mai 68 war: ein Pro-Chinese, der letzte Maoist. Der Geist meiner Familie ist schon immer in die Ferne geschweift. Mein Großvater war praktizierender Anarchist, er wurde im Ersten Weltkrieg getötet; meine Großmutter, Schrankenwärterin an einem Bahnübergang in Champigny, versperrte mutig einer Ladung schnurrbärtiger Polizisten den Weg - sie sagte: Schnurrbärte wie die Bourgeois! -, die dem ,Silver Ghost´-Rolls-Royce von Jules Bonnot (dem ersten motorisierten Bankräuber, Anm.) auf den Fersen waren. Papa wiederum interessierte sich vor allem für Bakunin, obwohl er kein Theoretiker war, und zu meinem Schulabschluss hatte er bei einem seiner Freunde, einem Maler, der nach Photos arbeitete, das Porträt eines Offiziers von Pancho Villa bestellt, der mit der Zigarre zwischen den Zähnen seinem Erschießungskommando zulächelt." Mit anderen Worten: Eine aufregende Familie, um die ihn alle beneiden können, die aus Verhältnissen, wie sie in Oberhausen oder Bielefeld üblich sind, kommen. "Rote Frauen werden immer schöner" ist wie ein Krimi geschrieben, interessanter als der Plot sind aber die in ihm enthaltenen politischen Aussagen. Bücher und Schriftsteller wie Fajardie, die - in Frankreich sogar ziemlich erfolgreich - heute noch revolutionäres militantes Gedankengut unter die Leute bringen wollen, gibt es in Deutschland so gut wie gar nicht. Solche Bücher liegen wie Blei bei den bürgerlichen Verlagslektoren oder später in den linken Eckchen fortschrittlicher Buchläden. Freddy wäre auf der ESF-Demo vielleicht mitgelaufen, aber die alte Sten-MP hätte er für diesen Anlass wohl kaum ausgepackt. Und wenn er in Afrika russisch gelernt hat, gefällt ihm sicher die schöne Mehrdeutigkeit von "kras'nyj": rot, schön, hold, klar.
Klaus Viehmannkras'nyj: rot, schön, hold, klar ausak
Paris 1988 - was bleibt von Liebe und Hass Um Liebe und revolutionäre Gewalt geht es auch im dem Roman noir von Frédéric H. Fajardie "Rote Frauen werden immer schöner". Dem Genre des hierzulande seltenen politischen Krimis zugehörig, beschreibt Fajardie, einer der bekanntesten Krimiautoren Frankreichs, die Geschichte von Frédéric, der nach zwanzig Jahren, im Mai 1988, nach Paris zurückkehrt und sich an die damaligen Ereignisse erinnert. Während die Kämpfe in den Straßen von Paris eskalieren, erschießt Frédéric aus Rache für den Mord an seinem Freund Teddy und um sein eigenes Leben zu schützen den Polizisten Rousseau. Kurz vor seiner geplanten Flucht zu den schmutzigen Guerilla-Kriegen der Dritten Welt verliebt er sich Hals über Kopf in Francine, einer bildhübschen Aktivistin. Was den Protagonisten der Geschichte einigermaßen überrascht, den Leser nicht minder. Denn während Olivier Rolin deutlich zu machen vermag, wie das Fantasma revolutionärer Gewalt, wie politische Militanz und der unbändige Hass auf den status quo auch die Intimität individueller Gefühle vergiftet, bleiben bei Fajardie beide Bereiche - Gewalt und Liebe - zuletzt eigenartig unverbunden.
Michael Mayer ausBerliner Zeitung
Aus Wut über die Fernsehberichterstattung zum 20jährigen Jubiläum der Mai-Revolte habe er dieses Buch geschrieben, so verriet Fajardie jüngst anlässlich seiner Lesetour durch mehrere deutsche Städte. Diese Wut merkt man dem Buch durchaus an, es ist auch ein biographisch gefärbter Erfahrungsbericht und eine mitunter bittere Bilanz. Dabei verhehlt Fajardie nicht, wo seine Sympathien liegen und lagen. Nun gelang es ihm wohl aber auch, seine Wut zu zügeln, denn der Roman lässt auch eine gehörige Portion Sentiment und Humor durchblicken, was dem Ganzen letzlich einen bisweilen märchenhaften Charakter verleiht. Dass es sich dabei nicht um einen klassischen Noir-Krimi handelt, schmälert das Lesevergnügen nicht im Mindesten. [ kw/01.11.2003 ]
kw ausHammett-Krimibuchhandlung
Christoph VillingerDer Krimi in der Revolte ausjungle world mehr ...
Beim Lesen von Frederic H. Fajardies Roman »Rote Frauen werden immer schöner« schieben sich immer wieder Erinnerungsbilder an den jungen J.P.Belmondo in Godards Außer Atem ein. Er hätte Frederic Herscher, genannt Freddy, darstellen können, den 20-jährigen Rebellen in den Wirren des Mai ‘68, und auch den entkräfteten Ex-Guerillero, der nach 20 Jahren in das Frankreich Mitterrands zurückkehrt. Mit einem rebellischen Stammbaum versehen treibt sich Freddy mit seinem Freund Teddy in den Pariser Maiunruhen umher. Das maoistische Vietnamkomitee haben sie schon hinter sich. Da sie weder Studenten sind noch in der Fabrik arbeiten, finden ihre Auftritte nachmittags und abends auf den Straßen statt, immer dabei, wo es Randale gibt, Barrikaden gebaut werden und Steine fliegen. Und immer mit einem spöttischer Blick auf die studentischen Weicheier und Hörsaalrhetoriker. Freddy ist voller Skepsis gegenüber den protestierenden Bürgersöhnchen, voller Sympathie für die streikenden Arbeiter und niemals abgeneigt, sich auf Partys ein wenig vom Revoluzzeralltag zu erholen. Lebensgefährlich wird es für sie, als sie sich nach einer Straßenschlacht in ein Haus flüchten und dabei mitbekommen, wie ein sie verfolgender Polizist ermordet wird. Sie selbst werden von dem Mörder entdeckt, den sie für einen Polizeiprovokateur halten. Freddy muss von zu Hause weg, er nimmt Abschied von seiner Familie, bewaffnet sich, muss mit der Knarre im Hosenbund noch ein wenig vor den sympathischeren Trotzkisten angeben. Und trifft auf Francine. Für beide gibt es einen kurzen Sommer der stürmischen Liebe, während die Flut der Rebellion zurückweicht, sich die Züge mit den zur Arbeit deportierten wieder füllen (ein krudes Bild, das sich schon bei der französischen Erstveröffentlichung 1988 verboten hätte). Irgendwann ist es soweit und Freddy wird nach Südafrika geschleust, wo er zunächst undercover die Grenzertruppen des Apartheidregimes auskundschaftet und sich dann diversen antikolonialen Befreiungsbewegungen anschließt, ohne sich ein neues Leben aufbauen zu können, in ständiger Sehnsucht nach Francine. Was erwartet ihn 1988 in Frankreich, wo sich die Barrikadenkämpfer von ‘68 zu Stichwortgebern der Sphinx in Eliséepalast gemausert haben, wo ehemalige Freunde schnodderig vom »Bumsen« sprechen, was für Freddy noch immer »Liebe machen« ist?
Udo Bonn ausSoZ
Frédéric H. Fajardies Roman ist ein spannender Krimi, der die Geschehnisse des Mai 1968 und auch die Politik der Befreiung in den 70er Jahren aufleben lässt. In der Form des Krimis lässt er Geschichte erlebbar werden. Der Leser nimmt Teil an den Kämpfen und Auseinandersetzungen. Der Blick zurück ist kritisch und bitter, dennoch schafft es der Autor, nicht in Verzweiflung zu erstarren. Gerade das Happy End der Liebe erhält die Hoffnung, das nichts umsonst war. Fajardie gehört einer Generation von Autoren in Frankreich an die ihre damaligen Erlebnisse in schriftlicher Form packen. Anders als in Deutschland wenden sie hauptsächlich die Form des Kriminalromans an und haben damit in Frankreich großen Erfolg. Es ist kein wehleidiger Blick zurück, sondern Geschichte wird über den Krimi erfahrbar. Damit werden die geschichtlichen Vorgänge und die Sicht von unten nicht nur der Vergessenheit entrissen, sondern gleichzeitig ist der Blick nach vorne gerichtet. Das dies nicht nur interessant ist, sondern auch noch gut und spannend geschrieben ist, trägt zu dem Erfolg bei. Mit diesem Buch eröffnet der Verlag Assoziation A seine neue Reihe noir in der mehr solcher Romane erscheinen sollen.
Meikel F ausTerz


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