In Memoriam Simha Rotem, genannt Kazik

Wir haben eine traurige Botschaft zu übermitteln: Simha Rotem, genannt Kazik, der letzte überlebende Kämpfer des Warschauer Ghettoaufstands ist gestern, am 22. Dezember 2018, in Jerusalem gestorben. Wir verneigen uns in Respekt vor diesem großen Menschen, dessen Andenken wir in Zuneigung bewahren. Wir hatten das große Glück, vor einem Jahr eine Neuauflage seiner Memoiren in deutscher Sprache veröffentlichen zu dürfen, in denen seine Erfahrungen für die Nachwelt und die jüngeren Generationen festgehalten sind. Gerade in Zeiten eines weltweiten nationalistischen Rechtsrucks wie heute sind sie als Mahnung und Aufruf von unschätzbarem Wert.

Simha Rotem wurde am 10. Februar 1924 als Sohn von Zvi und Miriam Rathajzer-Minski im Warschauer Vorort Czerniaków geboren. Er war das älteste von vier Kindern. Bereits mit zwölf Jahren schloss er sich der zionistischen Jugendorganisation Hanoar Hatzioni an. Beim Überfall der Deutschen auf Polen im September 1939 wurde das Haus der Familie bombardiert. Simha Rotem verlor dabei seinen Bruder und fünf weitere Familienmitglieder und wurde selbst durch einen Splitter am Hals verletzt.

Im Jahr 1942 schloss er sich der Jüdischen Kampforganisation ŻOB an und beteiligte sich im folgenden Jahr am Warschauer Ghettoaufstand. In den ersten Tagen des Aufstands, der am 19. April 1943 begann, kämpfte Kazik vom Gelände der Bürstenmacherwerkstätten gegen die anrückenden Deutschen. Ende April organisierten Kazik und Zygmunt Frydrych die Flucht der letzten überlebenden Kämpfer aus dem brennenden Ghetto durch das Labyrinth der Abwasserkanäle. 1944 beteiligte sich Kazik am Warschauer Aufstand und bereitete anschließend noch vor Kriegsende als Mitglied der Bricha Fluchtwege nach Palästina vor.

Nach dem Krieg schloss sich Kazik der Nakam-Gruppe an, die Vergeltungsaktionen gegen die Nazis plante. Anschließend wanderte er nach Palästina aus und beteiligte sich 1948 in den Reihen der Hagana am israelischen Unabhängigkeitskrieg.

Später heiratete er und bekam mit seiner Frau Gina zwei Söhne. 1997 wurde er mit der Wallenberg-Medaille der Universität Michigan ausgezeichnet. Als Mitglied des Yad-Vashem-Rates begutachtete er Anträge zum Titel »Gerechte unter den Völkern«. Wie sein Freund und Mitkämpfer Marek Edelman setzte er sich für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts ein.

In seinen Memoiren beschrieb er, ohne nachträglich zu romantisieren oder zu verklären, die schier unvorstellbare Härte des Kampfes gegen die Nazis. Mit dem Buch erfüllte er die innere Verpflichtung, Zeugnis abzulegen über die Geschichte des polnischen Judentums in den Tagen der Vernichtung und des Widerstands.

Zur Erinnerung an Kazik empfehlen wir die Lektüre der Porträts von Agnieszka Hreczuk und Andrea Livnat.

Außerdem verweisen wir auf das Interview I Thought I was the Last Jew Alive mit Kazik auf der Website von Yad Vashem sowie auf seine Rede anlässlich der Verleihung der Raoul-Wallenberg-Medaille.

Möge seine Stimme uns begleiten.